Tag 1
Es ist noch stockdunkel und es liegt eine allesumschlingende Ruhe über dem Garten, in dem ich kurz vor 6 Uhr umherirre. „War es nun links? Oder doch rechts?“ Denke ich langsam etwas gestresst, als ich noch einmal um den ganzen Pavillon herum laufe und einen anderen Gebüsch umwachsenen Weg einschlage. Doch dann erkenne ich hinten die zwei grossen Gebäude, auf denen mein Unterricht stattfinden soll. Ich ziehe meine Schuhe aus und klettere die Metalltreppe hoch aufs Dach des einen Steinhauses. Dort sitzen zwei Frauen unter einer Lampe auf Yogamatten am Boden und reden leise mit einander. Als sie mich entdecken, zeigt eine mit der Hand aufs andere Dach und sagt leise: „Du bist dort drüben, im Dunkeln.“ Ich nicke und umklammere etwas nervös meine Yogamatte, als ich über die kleine Brücke auf das andere Dach zurück in die Dunkelheit gehe. Meine Augen gewöhnen sich wieder mehr an die Dunkelheit und ich erkenne eine Gruppe von vielleicht Fünf Leuten, die im Schneidersitz in einer Ecke des Dachs hocken. Ich setzte mich dazu und warte ab. Jenny, die Yogalehrerin, stellt sich mir flüsternd vor und geht dann zurück auf ihre Matte. Der Morgen fängt sanft mit einer Meditation an. Als ich zurück in die Gegenwart finde, wird es schon langsam etwas heller. Jenny führt uns dann eine Stunde lang durch verschiedene Hatha Yoga Übungen, während sämtliche Hähne der Nachbarschaft um die Wette krähen. Ich bin überrascht und auch ein wenig stolz darauf, dass ich trotz der Vernachlässigung in letzter Zeit, die Übungen mit Leichtigkeit machen kann. Die aufgehende Sonne spiegelt sich in den Schweissperlen meiner Stirn, während ich seit langem wieder einen anständigen Sonnengruss ausführe. Als ich am Ende der Lektion meine Augen aus Shavasana öffne, ist es bereits heller Tag und Zeit fürs Frühstück. Ich bin begeistert. Warum mache ich nicht mehr jeden Tag Yoga so wie früher?
Savashana
Es gibt leckere Säfte, Reispudding, Brot und selbstgemachte Konfitüre zum Frühstück. Und jede Menge Grüntee. Zwischen jedem liebevoll positionierten und etwas übertrieben gutgemeintem Dekorationsgegenstand steht ein bunter Krug voll Tee. Ich ziehe einen Krug zwischen zwei Porzellanhühnern, auf denen Teddybären reiten, hervor und giesse mir und meiner Zimmermitbewohnerin etwas Tee ein. „Wo warst du heute morgen?“ Frage ich die Frankfurterin, die ebenso froh wie ich ist, einmal wieder Deutsch reden zu können. „Im Bett.“ Antwortet sie mit einem Lächeln. Anscheinend ist man hier nicht dazu verpflichtet jede Lektion zu machen. Trotzdem bin ich überzeugt jede Stunde mitzumachen. Ich erfahre, dass viele von denen, die schon länger hier sind, noch nie die Sonnenaufgang Kurse gemacht haben. Ich bin froh, dass ich mich am Morgen überwinden konnte, war es doch so ein schönes Erlebnis. Von 8 Uhr bis 10 Uhr finden keine Kurse für normale Yogaschüler statt. Die Kurse für angehende Lehrer hingegen nehmen kein Ende. Manche üben 8 Stunden oder mehr pro Tag. Ich gehe zurück ins Zimmer und lese etwas. Kur vor 10 Uhr gehe ich raus in den Garten und finde einen Mitschüler, mit dem ich heute in den frühen Stunden bereits einmal Yoga machte. Ricco winkt mich zu sich unter einen Unterschlupf neben dem Pavillon, wo meist die Lehrertheoriekurse stattfinden, und erklärt mir, dass wir jetzt eine Übung machen, die 7 Stunden Schlaf ersetzen kann. Zusammen mit meiner Zimmermitbewohnerin sind wir dieses Mal zu dritt, wieder mit Jenny und legen uns auf den Rücken.
Yoga Nidra ist eine Yoga-Technik zum Erreichen tieferer Bewusstseinsschichten. Durch völlige Tiefenentspannung bei klarem Bewusstsein soll ein psychischer Schlaf erreicht werden. (…) Eine tiefe und vollkommene Entspannung wird erlangt, wenn man wachsam und bewusst zwischen Wachen und Schlafen im Alpha-Zustand verharrt. Der Alpha-Zustand läßt sich üblicherweise während der kurzen Übergangsphase zwischen Wachsein und Schlafen beobachten. Auf dieser Grenzlinie entsteht der Yoga-Nidra-Zustand. Er soll viel wirkungsvoller und wohltuender als der normale Schlaf sein und viele Störungen und Krankheiten heilen. Ebenso kann es die Pforte zu einer höheren Bewusstseinsebene sein. Mit Yoga Nidra soll man in Kontakt zu der Quelle der Selbsterkenntnis und der Inspiration kommen, die in jedem von uns ruhe. (Wikipedia: Yoga Nidra)
Ich schrecke auf, als glockenartige Klänge ertönen. „Was ist passiert?“ Ich habe keine Erinnerung mehr daran, was nach der Einstiegsentspannung passiert ist. Jenny beruhigt mich und sagt, dass man auch im Schlaf viel der beruhigenden Worte aufnehmen kann.
Noch etwas benommen, aber durchaus frischer und erholter, laufe ich zurück aufs zweite Dach. Während ich am Anfang der Stunde in Gedanken oft beim baldigen Mittagessen schwelge, falle ich am Ende erschöpft auf meine Knie, die sonst schon weh tun, da die geliehene Yogamatte so dünn ist. Mein Körper zittert nach den schweisstreibenden Muskelübungen und ich sinke erleichtert in den Stuhl am Mittagstisch. Der rohe Gemüsesalat ist zwar erstaunlich köstlich, doch liegt, ebenso wie das Frühstück. leicht im Magen. Ich freue mich riesig darüber, als ich erfahre, dass das nur eine Vorspeise war und es noch einen Hauptgang gibt. Da der Hauptgang aber auch in erster Linie aus Gemüse besteht, finde ich mich resigniert damit ab, dass das Essen hier lecker ist, aber nicht wirklich satt macht. Auf eine Art ja verständlich, da man nur schlecht mit allzu vollem Bauch Yoga machen kann. Da der Nachmittag ohne Programm ist, rufe ich mir ein Tuk Tuk und fahre zu Stephen. Nachdem auch er zu Mittag gegessen hat (riesiger Burger), gehen wir noch kurz schwimmen und dann ist es auch schon Zeit für mich zurück zum Yogazentrum zu gehen und meine erste Stunde „Flying Yoga“ anzutreten.
Währendem die anderen, der gut besuchten Yogastunde, bereits mit geschlossenen Augen still vor sich hin schweben, habe ich noch mit meinen Beinen zu kämpfen, die ich nicht richtig in die Hängematte kriege. „Geschafft!“ Ich grinse triumphierend, während ich weitaus am meisten hin und her schaukle und versuche den leichten Schmerz zu ignorieren, den mir meine Beine verursachen, die zwar still, aber viel zu hoch zwischen der Hängemattenwand und meiner Brust eingeklemmt sind.
Viele der mir bereits bekannten Übungen, kann man mit Hilfe dieser Hängemattenkonstrukte unterstützen. „Es ist weniger eine Frage der Muskeln, mehr der Dehnbarkeit und auch etwas der Geschicklichkeit.“ Erklärt uns Ati, während sie ihren muskulösen Bauch in einer Rückwärtsumdrehung präsentiert. Trotz Anfangsschwierigkeiten, geniesse ich die mal etwas andere Yogastunde.
Die letzte Yogastunde findet während des Sonnenuntergangs statt und endet in kompletter Dunkelheit. Nach den entspannenden Yin-Übungen knurrt mein Magen aber nun endgültig und ich treffe mich rasch mit Stephen in der Stadt auf einen riesigen Teller vegane, aber mastig und klebrige, Spaghetti Carbonara. Wir gehen noch etwas trinken und dann gehe ich zurück in mein Zimmer ohne AirCon.
Tag 2
Nach einer weiteren heissen Nacht unter den etwas aber nicht zu viel helfenden, lauten Ventilatoren, klingelt mein Wecker wieder um 5:30 Uhr. Dieses Mal richtig motiviert hüpfe ich los und verlaufe mich auch nur einmal kurz im Garten bevor ich meine Matte in der Dunkelheit neben Ricco platziere. Meine anfängliche Euphorie wird etwas gedämpft, als ich mit Entsetzen feststelle, das über Nacht etwas mit meinen Beinen passiert ist. Ich kann meine Zehen nicht berühren. Verwirrt greife ich mit meinen Händen unter meine Knie, und überlege, ob kleine Yogamonster meine Bänder enger genäht haben. Nach einer Stunde Hatha Yoga, finde ich mich immer mehr damit ab, dass nach den paar Stunden Yoga gestern, mein Körper steif und schmerzend wurde. Ich schleppe meinen Muskelkater befallenen Körper zum Frühstück und gehe nach dem Essen gleich wieder ins Bett. Meine Mitbewohnerin weckt mich, nachdem ich all meine Wecker verschlafen habe, damit ich meinen Meditationskurs nicht verpasse. Trotz wackeligen Beinen, rapple ich mich auf und folge ihr aus dem Bungalow. „Ist ja nur etwas Rumliegen und Zuhören.“. Obwohl ich mir am Anfang vorgenommen hatte, keine Lektion zu verpassen, finde ich es mittlerweile recht okay, die eine besonders anstrengende Vinyasa Lektion heute wegfallen zu lassen. Die Meditationsstunde findet überraschenderweise auf dem Dach statt. Eine junge Frau mit dunklen, langen Locken strahlt uns an und verkündet, dass sie heute mit uns dreien eine ganz besondere Meditation vor hat. Eine Meditation mit Bewegung und Musik! Das Entsetzen steht mir ins Gesicht geschrieben, ich schlucke meinen Schock hinunter und versuche trotz Muskelkater eine offenen Haltung gegenüber der neuen Erfahrung zu haben. Nach einer Stunde negative Energien in positive umwandeln und einer Fussfolge, die man mit der richtigen Musik auch für einen Line Dance verwenden könnte, liege ich erschöpft wieder in Savashana. Als ich meine Augen öffne, sitzt Jenny auch schon auf der Matte vor uns, parat für die schweisstreibenden Vinyasas. Nun schon fast in der nächsten Stunde drin aufzustehen und zu sagen, dass ich nicht genug Kraft habe, wäre ein zu grosser Schlag für mein Ego. Ich rapple mich auf und ertrage mein Schicksal mehr oder weniger wie ein Krieger. Als ich wegen einem Muskelkrampf aufheulend aus der „Krieger 2“ Postion falle, entscheide ich mich für „eher weniger„. Total erledigt schleppe ich mich nach der unfreiwilligen Lektion zurück ins Bungalow unter die Dusche.
Mir bleibt nur kurz Zeit, um mich wieder zu fassen, denn gleich schon bricht die halbe Schule auf um ein Kloster zu besuchen. Ich fahre vorn mit dem französischen Fahrer und halte seine Kamera auf dem Schoss, während er uns erklärt wie Kambodscha mit Gesetzen rund um Drogen umgeht. Jeder habe seine Hand in jemandes Tasche und so sei das ganze Land ziemlich korrupt und kein Gesetzt wirklich fest.
Das Kloster ist riesig und unglaublich schön. Die jungen Novizen in den typisch orangenen Umhängen, schielen während ihren Putzarbeiten immer wieder zu uns rüber.
Man schickt uns in den grossen Tempel, wo wir uns vor den Altar auf einen Teppich setzten. Ich sitze fast Knie an Knie mit einem Novizen, der eine Zeremonie für uns halten wird. Zwei noch kleinere Jungs in orangen Tüchern beobachten alles und machen sich weiter hinten Notizen. Der Franzose erklärt vor dem Anfang der Zeremonie: „Je näher vorne ihr sitzt, desto mehr gesegnet werdet ihr.“ Ich hatte ja keine Ahnung wie wortwörtlich er das meinte. Während der gesamten Zeremonie singt der angehende Mönch laut seine Gebete und spritze das Weiwasser gegen die Gruppe, aber in erster Linie direkt in mein Gesicht.
Frisch geduscht und gesegnet, komme ich aus dem Tempel heraus auf einen grossen Platz voller buddhistischer Statuen.
Da es furchtbar heiss ist, machen wir im Kloster kein Yoga, sondern lediglich eine (sitzende) Meditation. Wir setzen uns auf eine Seite des Platzes unter einen uralten Baum und konzentrieren uns auf unseren Atem. Die erste halbe Stunde bin ich ziemlich beschäftigt damit meinen immerzu einschlafenden Fuss zu wecken. Dann wird es richtig windig und man hört ein mächtiges Gewitter über den See auf uns zukommen. Endlich habe ich es geschafft, dass mein Fuss nicht mehr weh macht, weil er entweder nun doch in einer angenehmen Position ist, oder mittlerweile in eine Art Fusskoma gefallen ist. Auf jeden Fall kann ich alle Gedanken an meinen Fuss und alle Sorgen wegen des Gewitters für einen Moment abschalten und mich auf die eigentliche, buddhistische Meditation konzentrieren.
Ich wünsche mir sicher und verbunden zu sein, in Frieden und voll von Liebe.
Ich wünsche einer Freundin zuhause sicher und verbunden zu sein, in Frieden und voll von Liebe.
Ich wünsche das dem Typen neben mir, Bryan, den ich heute zum ersten Mal gesehen habe.
Ich wünsche das jemandem, der mir Schlechtes getan hat.
Und ich wünsche das jedem und allem in diesem Universum.
Nach dieser Stunde fühle ich mich sehr zufrieden und ruhig und auch das Gewitter zieht an uns vorbei. (vielleicht wurde es von all der positiven Energie weggestossen?) Dann fahren wir mit einem Boot auf den See, in dem sich die Sonne so schön spiegelt. Ich springe übermütig mit meinen Kleidern in das warme Wasser und werde dann von Bryan wieder rausgefischt. Karma?
Am Abend gehen Stephen und ich noch mit ein paar Leuten vom Yoga Retreat zu Abend essen.
Tag 3
Trotz fortlaufendem Muskelkater stehe ich kurz vor 6 Uhr auf und gehe, ohne mich zu verlaufen, aufs Dach. Heute sind es nur Ricco und ich. Ich habe Glück, die heutige Lehrerin scheint auch nicht so fit zu sein und wir machen ganz gemütliche Übungen, hauptsächlich im Liegen.
Das letzte Frühstück ist so wie immer, fein aber klein.
Ich checke meine Sachen aus und stelle sie vor das Büro. Die selbe Yogalehrerin, die heute erschöpft ist, macht die Meditation. Ich bin alleine mit ihr. Da sie selbst müde ist, legt sie sich neben mich auf die Matte und wir hören gemeinsam eine geführte Meditation auf YouTube. Irgendwann schrecke ich auf, weil ich ein lautes Schnarchen hörte. Ich weiss nicht ob ich es selbst war oder sie, entscheide, dass es keine Rolle spielt und schlafe wieder ein. Als ich von Stimmen geweckt werde, sehe ich dass Jenny und ein paar Leute sich auf dem anderen Dach einnisten für die täglichen Vinyasas. Aber dieses Mal ohne mich- ich schleiche mich rasch an ihnen vorbei, steige nach unten und erhole mich auf einem Sofa von der anstrengenden Meditation bis es Mittagessen gibt. Während ich meine erste Yoga Stunde schwänze, denke ich an meine Maturaarbeit und die Yamas und Niyamas (die yogischen Regeln). Ahimsa zum Beispiel: Das Gesetz des Nichtverletzens. Wenn mir alles weh tut und ich jetzt diese schweisstreibenden Asanas machen würde, täte das noch mehr weh. Ergo, ich würde gegen Ahimsa verstossen- kein Yoga ist in diesem Fall doch Yoga. Nach dem Mittagessen kommt Stephen zu mir und eine Yogamitschülerin zeigt uns einen Laden, wo man Yogamatten kaufen kann. Es finde eine wunderbare, dicke, rutschfeste, ökologische Yogamatte…
Wir verbringen den Nachmittag in einem kleinen Café und gehen dann für die letzten beiden Yogastunden zurück. Das Flying Yoga geniesse ich, auch wenn ich nicht mehr so dehnbar bin wie am ersten Tag. Doch die letzten 60 Minuten Yin-Yoga geben mir den Rest. Während Stephen sich sehr gut schlägt in seiner bis anhin vielleicht dritten Yogastunde überhaupt, keuche ich vor mich hin und drücke verzweifelt mit meinen Händen auf die zuckenden, schmerzenden Muskeln. Jenny meint, ich könne nach zwei Tagen Pause mein Training fortfahren. Nun drei Tage später liege ich hier immer noch mit Muskelkater in meinem Bett, schreibe diesen Text und schaue ab und zu etwas nachtragend, aber auch sehnsüchtig rüber zu meiner knall-pinken Yogamatte…
Die Tage im Retreat haben meine Faszination und besonders meine Motivation für Yoga wiederbelebt und doch haben sie mir meine eigenen Grenzen gezeigt. Ich habe gesehen, dass Yogalehrer, die seit Jahren jeden Tag trainieren, auch nur Menschen sind. Ich genoss es auch in so viele verschiedene Lehrstyle Einblicken zu können und habe ein oder die andere Übung für mich daraus ziehen können. Sobald ich mich wieder bewegen kann, wird Yoga, in einem humanen Rahmen, wieder mehr Platz in meinem Leben einnehmen. 🙂