Ein weiterer wunderschöner Tag in Kambodscha

 

otres morning

Ich liebe es, wenn ich schon vor Tagesanbruch auf den Beinen bin. Wenn alles noch still und friedlich ist. Wenn alles schläft und nur ich allein durch die leeren Strassen spaziere.

Ein paar vereinzelte Hähne rufen in den frühen Morgen hinein, werden jedoch von den meisten Bewohnern gar nicht wahrgenommen. Man sieht noch ein paar Sterne über dem Meer funkeln, während sich die Dunkelheit langsam in verschiedene Blautöne wandelt. Wie verzaubert bleibe ich stehen und strecke mich. Es ist Zeit für ein paar Yoga-Übungen. Ich mache einen kurzen Sonnengruss, dehne meine Beine und ende im hinaufschauenden Hund. Die ersten Sonnenstrahlen küssen mein Gesicht, als ich mich schüttle und mit einem Lächeln im Gesicht zurück zu den Bungalows schlendere. Immer mehr erwacht Otres Village zum Leben. Die ersten Tuk Tuk fahren die schmale Hauptstrasse entlang zum Zentrum. Auch ein paar Touristen sind schon mit ihren Fahrrädern und Motorfahrzeugen unterwegs zu geheimen Stränden und Wasserfällen. Die vielen Cafés und Restaurants öffnen langsam ihre Türen und die Leute schleichen aus allen Häusern in Richtung Frühstück. Auch mein Magen knurrt und ich mache Halt bei den Blue Sky Bungalows. Ein russisches Pärchen sitzt am Tisch neben der Bar und bestellt bei der freundlichen Angestellten zwei Omeletten mit Speck. Beim Vorbeigehen fährt sie über meine Schulter und fragt mich, wie es mir geht. Als ich antworten will, ist sie schon hinten in der Küche verschwunden. Ich zucke meine Schultern und esse weiter.

Die Sonne scheint hell, es wird also ein weiterer wunderschöner, warmer Tag in Kambodscha. Ein guter Tag, um meine Freunde nebenan zu besuchen. Noch vor der grossen Mittagshitze mache ich mich auf und gehe quer über die Strasse zum Mia Mia Hostel. Alice steht mit einem starken Kaffee hinter dem Tresen und lächelt mich, noch etwas verschlafen, an. Stimmt, letzte Nacht fand wieder eine Disney Party statt, vermutlich hatte sie eine kurze Nacht. Eigentlich heisst sie ja gar nicht Alice, aber ich kenne ihren richtigen Namen nicht. Und wir kennen uns nun schon zu lange um das noch zu fragen. Doch Alice passt irgendwie. Das Mia Mia ist seit meinem ersten Tag hier wie ein Wunderland. Und es gibt kein Wunderland ohne Alice, genauso wie es kein Mia Mia ohne diese Powerfrau gibt. Sie weiss, wen ich besuchen möchte und nickt rüber zum Billard Tisch. Der Boden glitzert von gestern, oder letzter Woche… oder sogar noch vorher. Eigentlich glitzert das ganze Dorf, da Glitzer so gut wie überall hängen bleibt. Am meisten jedoch glitzert das Mia Mia. Und daran ist eine junge Frau aus England, die seit neustem hier arbeitet, nicht unschuldig. Sie hat vor ein paar Wochen angefangen „Face painting“ für $3 anzubieten. Und naja, die Leute hier sind ganz verrückt danach sich Blumen und andere Zierden ins Gesicht malen zu lassen. Zu jeder Gesichtsbemalung gibt es noch eine Prise Glitzer dazu. Davon muss man niesen und es juckt wie verrückt. Fliegen, wie bei Peter Pan’s Feenstaub kann man aber nicht. Das weiss ich, denn mich hat sie auch schon erwischt.

mia-mia

Ich stehe vor dem Tisch und seufze. Laut schnarchend liegt er unter dem Tisch auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt und sabbert den Boden voll. Ich verstehe nicht, wie er es jedes Mal soweit kommen lässt. Ich schüttle den Kopf und wende mich ab von dem schlafenden Partytier. Dann entdecke ich die kleine Pippa, die mich soeben auch gerade entdeckt zu haben scheint. Freudig eilt sie auf mich zu und begrüsst mich überschwänglich. Wir sehen uns jeden Tag, doch sie freut sich immer als wäre unser letztes Treffen bereits Wochen her. Manchmal denke ich, es liegt daran, dass sie den Kopf einmal zu viel angeschlagen hat. Ich habe mich aber mittlerweile daran gewöhnt und freue mich auch sie zu sehen.

Pippa weiss immer über jeden Klatsch Bescheid und muss diesen auch konstant verbreiten. Ansonsten ist sie aber trotzdem ein wahrer Sonnenschein. Und es geht los. Es sprudelt förmlich aus ihr raus. „Gestern war wie immer der Wahnsinn! Schade warst du dieses Mal nicht dabei. Fast alle der umliegenden Nachbarn waren da. Sogar der grosse braunhaarige vom Done Right kam vorbei. Stell dir vor! Er brachte wieder ein anderes Mädchen mit. Sie hat kaum etwas gesagt, sie wollte nicht einmal etwas trinken. Und du hättest sehen sollen, wie eifersüchtig Mango war. Sie haben sich ja erst vor ein paar Wochen getrennt. Man kann schon verstehen, dass sie ihn ungern mit anderen sieht. Doch, dass sie so eine Szene macht, das sah niemand kommen. Und der Neue, der bei ihr im Done Right ein Zimmer gemietet hat, der hat etwas…„ Während sie weiter und weiter auf mich einredet, blicke ich durch das Mia Mia und sehe jemanden zum Tresen kommen. Alice macht dieses entschuldigende Gesicht zusammen mit dem verlegenen Schulterzucken, während sich schiere Enttäuschung auf dem Gesicht des Mädchens vor ihr abzeichnet. Vermutlich wieder jemand auf der Suche nach Kambucha. Alice ist die einzige Person, im Dorf, die dieses Getränk herstellt und somit ist seit dem ihre Maschine kaputt ist, kein Kambucha in Otres Vilage erhältlich. In solchen Momenten merke ich wieder, wie abgeschottet man hier ist und wie alles und jeder mit einander zusammenhängt.

Ich nicke Alice zum Abschied zu und spaziere weiter durch Otres Village. Marc und seine Crew haben ihren veganen Smoothie- und Tattoo-Stand aufgestellt und sind schon fleissig am Mixen. Leise Musik ertönt vom Stray Cats. Jemand spielt Gitarre und einer der Volunteers übt sich am Schlagzeug. Die Deutschen sind bald fertig mit ihrem Konstrukt. Vielleicht noch eine Woche, dann öffnet wieder ein neues Lokal. Vor Fünf Jahren gab es an dieser Strasse nicht mehr als drei, vier Häuser. Verrückt, wie dieses Dorf wächst. Langsam wird es heiss und ich suche mir einen Ort im Schatten, wo ich mich bis zum Abend entspanne und das langsame Treiben beobachte.

Da es Samstag ist, mache ich mich auf zum wöchentlichen Otres Market. Ich komme vorbei am italienischen Restaurant Jin und atme den köstlichen Geruch von Holzofen Pizza ein. Beim Waschsalon biege ich links ab. Tuk Tuks parkieren, kommen und gehen und die Bewohner der Umgebung treffen langsam aus allen Richtungen ein. Ich gehe durch das Tor und stehe im Market. Links ist eine Bar, die überteuertes Bier verkauft. $1.50! Ist das zu glauben? Gut, dass ich kein Bier trinke. Ich gehe an der Bar vorbei zur grossen Bühne, wo gerade eine Frau mit Handorgel und ein Mann an der Gitarre das Publikum rocken. Es riecht nach leckerem Essen, Indisch, Türkisch, Japanisch, Mexikanisch, Khmer, Portugisisch- alles was das Herz begehrt. Die Bäcker vom Bake’n-bake stehen auch in ihrem Turm und verteilen bunte Donuts. Hinter ihnen sind um die zehn Marktstände, die Kleider und Steine verkaufen. Ich mag diesen Ort, es hat so viele Hunde. Das Essen und die Musik lockt Jung und Alt zugleich. Ich suche mir noch einen letzten Leckerbissen, dann mache ich mich auf den Heimweg.

Gerade als ich zwischen Waschsalon und Jin bin, passiert es schon wieder. Ein Stromausfall. Wegen dieser gigantischen Chinesischen Baustelle. Ich seufze. Zum Erklären; wenn es einen Stromausfall gibt, steht das ganze Dorf still. In einem Moment ist die ganze Strasse noch beleuchtet und von überall her klingt Musik und im nächsten Moment ist alles stockfinster, jede Musikanlage stirbt ab und wer kein Handy bei sich hat sitzt im Dunkeln, bis es wieder Strom gibt. Manchmal dauern die Stromausfälle auch länger an, so dass es schwierig wird Essen zu finden, da die Restaurants nicht mehr kochen können. Es gibt kein fliessendes Wasser mehr und überhaupt bewegt sich nichts mehr gross. Im Dunkeln sehe ich eine Gestalt auf mich zu trotten. Ich erkenne ihn, es ist Callo vom Otres Jungle! „Junge! Dich habe ich ja schon ewigs nicht mehr gesehen! Wo hast du nur gesteckt?“ Aufgeregt wedle ich mit meinem Schwanz und springe euphorisch auf meinen Hundefreund zu. Zur Begrüssung riechen wir uns gegenseitig am Hintern, dann erzählt Callo: „Eingesperrt hat man mich. EINGESPERRT!“ Sein Gesicht ist voller Wut. „Wie einen Sträfling hinter Gittern verrotten hat man mich lassen!“ Dann schwänzelt er wieder und sein Gesicht lichtet sich. „Aber jetzt darf ich wieder raus. Die Wunde an meinem Hals ist geheilt.“ Er strahlt mich an. „Wollen wir spielen?“ Wild bellend rennen wir uns hinterher bis wir beide müde sind und wieder bei derselben Kreuzung hocken.

Plötzlich geht das Licht wieder an und das Dorf erwacht wieder zum Leben. „Willst du mich noch besuchen kommen?“ Fragt Callo mich. Da ich als Hund sowieso nicht viel zu tun habe und auch keinen Wecker besitze, der mich am nächsten Morgen aus dem Bett zwingt, willige ich ein. Wir schlendern das kleine Strässchen entlang zum Jungle. Callo’s Halbbruder und seine Freundin spielen Fangen vor dem Tor. Callo verdreht die Augen. „Die beiden sind viel kleiner als ich, sie konnten auch wenn das Tor geschlossen war durch den Zaun rein und raus kriechen. Hat mich HUNDISCH aufgeregt.“ Er wirft einen verachtenden Blick auf die zwei und weist dann mit der Nase zur Rezeption. „Schau. Wir haben zwei neue Menschen bekommen. Sie nennen sich „Manager““. Ich nicke. „Wir haben auch neue Leute. Sind echt okay, Dimitri* streichelt mich oft, heute bekam ich sogar ein Stück Speck von ihm.“ Ungläubig schaut mich Callo an und fragt: „Der hat dir das einfach so gegeben?“. Ich kneife meine Augen zusammen und gebe zu: „Okay. Er hat  kurz nicht hingeschaut.“.

Callo lacht und ich laufe neben ihm her zur Rezeption. Ich runzle meine flauschige Stirn. Dann fällt mir auf -die zwei kenne ich! Die haben mal bei uns gewohnt! Plötzlich steht der Mensch im lila Kleid auf und ruft: „Hi Oreo! Komm hier her. Ja, guter Junge. Was für ein Zufall dich hier zu sehen. Ich habe gerade eine kleine Geschichte über dich geschrieben.“ Die Rothaarige krault mich sanft hinter meinem oreofarbigen Ohr und ich schliesse meine müden Augen.

oreo

*Menschennamen der Redaktion bekannt

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